Der Epileptiker gehört zu den häufigsten Patienten in der neurologischen Sprechstunde. Das ist darin begründet, dass Epilepsie die häufigste chronisch neurologische Erkrankung des Gehirns beim Hund ist.

Die Epilepsie stellt definitionsgemäß eine vorübergehende Fehlfunktion des Gehirns dar. Ein epileptischer Anfall entsteht durch das gleichzeitige und unkontrollierte Abfeuern von Impulsen der Nervenzellen.

Epileptische Anfälle können mit unterschiedlich starker Ausprägung auftreten. Symptome eines klassischen Anfalls sind Bewusstseinsverlust und Krämpfe. Bei milderen Ausprägungen zeigen betroffene Hunde nur fokale Muskelkontraktionen oder abnormale, häufig repetitive Bewegungsmuster.

Typische Anzeichen eines epileptischen Anfalls beim Hund

Typische Anzeichen eines epileptischen Anfalls beim Hund

Epileptische Anfälle können nach der Ursache oder dem klinischen Erscheinungsbild klassifiziert werden.

Erfolgt die Einteilung nach Ursache, so spricht man von primärer und sekundärer Epilepsie.

Bei der primären Form liegt die Ursache im Gehirn, während bei der sekundären Form die Ursache außerhalb des Gehirns lokalisiert wird.

Bei der Klassifikation nach dem klinischen Erscheinungsbild unterscheidet man zwischen generalisierten und fokalen Anfällen. Generalisierte Anfälle beinhalten motorische, sensible und autonome Ausfälle mit Bewusstseinsbeeinträchtigung. Fokale Anfälle hingegen betreffen nur einzelne Körperregionen und gehen meist nicht mit einem Bewusstseinsverlust einher.

Wie erkenne ich einen epileptischen Anfall?

Nun stellst du dir vielleicht die Frage, wie du einen epileptischen Anfall sicher erkennen kannst, denn schließlich ist nicht jeder Krampfanfall mit Epilepsie gleichzusetzen.

Ein epileptischer Anfall wird in 3 Phasen unterteilt:

  • Präiktale Phase (= vor dem Anfall = Prodromalphase): Verhaltensänderung/Unruhe
  • Iktale Phase (=Anfall): Muskelkrämpfe, Bewusstseinsverlust
  • Postiktale Phase (=nach dem Anfall): Desorientierung und Erschöpfung

Typische Anzeichen eines epileptiformen Anfalls sind Bewusstseinsverlust, Muskelkrämpfe, Hypersalivation (vermehrtes Speicheln) & unwillkürlicher Urinabsatz. Ein Anfall dauert meist 30 Sekunden bis zwei Minuten, auch wenn es dir bestimmt länger vorkommt.

Folgende Leitfragen können helfen, festzustellen, ob es sich wirklich um einen epileptischen Anfall handelt:

Anfall Fragen

Eine besonders dramatische Form des epileptischen Anfalls ist der sogenannte Status epilepticus. Unter diesen Begriff fallen Anfälle, die mehrere Minuten andauern oder Anfälle, die so schnell hintereinander auftreten, ohne dass zwischen den Anfällen Zeit zur Genesung besteht.

Krampfanfälle, die die Kriterien eines epileptischen Anfalls nicht erfüllen, können auf folgende Ursachen zurückzuführen sein

Ursachen Epilepsie beim Hund

Ursachen eines epileptischen Anfalls

Die Ursachen einer Epilepsie können vielfältig sein. Damit bei der ätiologischen Aufarbeitung nichts vergessen wird, kann das (etwas abgewandelte) Wort „VETAMIN D“ als schematische Merkhilfe dienen.

Merkhilfe Epilepsie beim Hund

Vaskulär bedeutet „die Blutgefäße betreffend“. Hierzu zählen Infarkte und Blutungen.

Entzündliche Ursachen beinhalten sowohl eine infektiöse Ätiologie als auch Autoimmunerkrankungen. Im Hinblick auf Infektionen kommen beim Hund v.a. Staupe und Rickettsien in Frage.

Zu den autoimmunen Ursachen zählt die sogeannte „MUO“ (Meningoencephalitis of unknown origin), eine Enzephalitis (Hirnentzündung) unklarer Genese, die vermehrt beim Mops und bei Bulldoggen auftritt. Auch ein Schädel-Hirn-Trauma kann Krampfanafälle auslösen.

Wirft man einen Blick auf die angeborenen Ursachen, so stehen Erkrankungen wie ein Hydrocephalus („Wasserkopf“), eine Arachnoidzyte (liquorgefüllte Zyste), Lissenzephalien (Fehlbildungen des Gehirns mit fehlender Entwicklung der Hinrwindungen) aber auch Genkrankheiten wie das Lafora-Syndrom.

Unter die Einteilung der metabolisch/toxischen Ursachen fallen beispielsweise die Hepatoenzephalopathie (Leber-Hirn-Störung), Hypoglykämien (Unterzuckerungen) in Folge von Insulinomen aber auch Vergiftungen spielen hier eine Rolle. Als idiopathisch wird die idiopathische Epilepsie bezeichnet, welche die häufigste Ursache darstellt.

Unter Neoplasien fallen primäre und sekundäre Gehirntumore. Bei den degenerativen Ursachen sind vor allem Enzymspeicherkrankheiten von Relevanz.

Geht man nun auf Ursachenforschung, so ist das Alter des Patienten für die Wahrscheinlichkeit der möglichen Ursachen entscheidend, das heißt junge Hunde haben prinzipiell andere Erkrankungen als ältere Tiere. Hierbei ist das Alter bei Erkrankungsbeginn und nicht der Zeitpunkt der Vorstellung beim Tierarzt maßgeblich.

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Diagnose & Therapie der Epilepsie

Obwohl die Epilepsie eine vergleichsweise häufige neurologische Erkrankung ist, gestaltet sich die Diagnosefindung häufig schwierig. Neben einer ausführlichen Anamnese und einer eingehenden allgemeinen, sowie neurologischen Untersuchung können auch labordiagnostische Tests und bildgebende Verfahren zur Fallaufarbeitung genutzt werden.

Bei der allgemeinen und neurologischen Untersuchung wird festgestellt, ob der Patient zwischen den Anfällen neurologische Störungen aufweist, oder klinisch unauffällig ist.

Labordiagnostische Untersuchungen können Hinweise auf Stoffwechselentgleisungen, Vergiftungen oder Infektionen geben.

Zu den bildgebenden Verfahren zählen u.a. Ultraschalluntersuchungen des Abdomens, welche vor allem bei Verdacht eines Lebershunts beim Jungtier und beim Tumorscreening des geriatrischen Patienten eine Rolle in der Epilepsiediagnostik spielen. Auch Röntgenaufnahmen des Brustraums gehören zu den gängigen diagnostischen Verfahren, um neoplastische Ursachen abzuklären.

Für eine aussagekräftige Bildgebung des Gehirns eignet sich die Magnet-Resonanz-Therapie (MRT). Auch eine Liquoruntersuchung (Hirnwasseruntersuchung) kann Aufschluss über die Ursache des Krampfanfalls geben. Diese Verfahren können nur in Vollnarkose durchgeführt werden.

Sind alle diese Untersuchungen unauffällig, so ist eine idiopathische Epilepsie wahrscheinlich.

Da betroffene Hunde unterschiedlichen Alters tendenziell andere Formen der Epilepsie haben, ist es essenziell den diagnostischen Plan optimal auf die Gegebenheiten abzustimmen.

Diagnostische Vorgehen bei epileptischen Anfällen

Diagnostisches Vorgehen bei epileptischen Anfällen beim Hund

Erst nach einer ausführlichen Diagnosestellung kann eine erfolgsversprechende Therapie eingeleitet werden. Während sich bei sekundären Ursachen die Therapie nach der Grundursache richtet und sowohl konventionell (medikamentös) als auch chirurgisch (operativ) sein kann, steht bei der idopathischen Epilepsie die Therapie mit krampfhemmenden Medikamenten, sogenannten Antikonvulsiva, im Vordergrund. Beim Hund sind derzeit drei Wirkstoffe zur Behandlung der Epilepsie zugelassen, welche sowohl einzeln (Monotherapie) als auch in Kombination angewendet werden können.

Phenobarbital

  • Wirkmechanismus: Hemmung der monosynaptischen Übertragung durch Aktivierung der GABA-Rezeptoren → Reduktion der neuronalen Erregbarkeit, Erhöhung der Reizschwelle des motorischen Cortex
  • Nebenwirkungen: vermehrtes Durstgefühl, Koordinationsprobleme, Müdigkeit, Schädigung der Leber, Pankreatitis
  • Regelmäßige Bestimmungen Serumkonzentration nötig
  • Mögliche Präparate: Luminal Vet®, Luminaletten Vet®, Phenoleptil®, Epityl®

Imepitoin

  • Wirkmechanismus: Verstärkung der GABA-Wirkung (Verminderung der neuronalen Erregbarkeit), Blockade von Kalzium-Kanälen (antikonvulsive Wirkung durch Hemmung der Muskelkontraktion)
  • Nebenwirkungen: vermehrtes Hunger- und Durstgefühl, Müdigkeit, Übererregbarkeit, Gastrointestinale Symptome
  • Dosisanpassung anhand der klinischen Symptome, aufgrund der kurzen Halbwertszeit des Wirkstoffes sind Serumkonzentrationen nicht aussagekräftig
  • Mögliche Präparate: Pexion®

Kaliumbromid

  • Wirkmechanismus: Hyperpolarisation der Membranen durch Verdrängung von Chlorid (Erhöhung der Krampfschwelle, Verstärkung der GABA-Wirkung durch Bromid)
  • Nebenwirkungen: Pankreatitis, Nierenschädigung
  • Regelmäßige Bestimmungen Serumkonzentration nötig
  • Mögliche Präparate: Libromide®

Indikation für Therapiebeginn

Häufig stellt sich die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt und den richtigen Gründen für einen Therapiebeginn. Da die Behandlung einer Epilepsie eine lebenslange Medikation ist, liegt der Gedanken nahe, den Therapiebeginn so lange wie möglich hinauszuzögern. Als Indikation für den Beginn einer antikonvulsiven Medikation gilt daher die Faustregel „Mehr als einen Anfall alle zwei Monate oder ein einmaliger Status epilepticus oder eine Tendenz zu Clustern (mehr als 1 Anfall in 24 h, unabhängig von Frequenz)“. Das Therapieziel ist hierbei NICHT die Anfallsfreiheit, sondern eine Minimierung der Anfälle bei einer Minimierung der Nebenwirkungen und einer Maximierung der Lebensqualität für den Patienten.

Prognose

Häufig stellen sich Besitzer die Frage nach der Lebenserwartung bei Hunden mit Epilepsie.

Die Prognose des Hundes hängt maßgeblich von der Ursache der Epilepsie ab. Prinzipiell gilt, je früher die Erkrankung erkannt und behandelt wird, desto besser ist die Prognose. Jeder Krampfanfall birgt das Risko einer mangelnden Sauerstoffversorgung des Gehirns, eines Absterbens von Neuronen (Nervenzellen) und einer Verschlechterung der Symptomatik.

Da das Ansprechen auf antikonvulsive Medikamente sehr individuell ist, ist die Therapie immer wieder zu kontrollieren und gegeben falls anzupassen. Liegt eine sekundäre Epilepsie vor, so ist die Behandlung der Grundursache maßgeblich für die Prognose des Patienten.

Ein Blick auf das Hundefutter – Diätische Empfehlungen für Epileptiker

Die Fütterung ist – nach der medikamentösen Therapie – die zweitwichtigste Säule des Epilepsiemanagements. Eine erfolgreiche diätische Anpassung setzt bei Epilepsie-Patienten eine Zusammenarbeit und Rücksprache mit dem behandelnden Tierarzt voraus. Unter anderem solltest du unbedingt über die aktuelle Medikation deines Patienten Bescheid wissen und auch einen Blick auf die aktuellen Laborbefunde werfen.

Folgende Aspekte sind bei der Rationsgestaltung besonders wichtig:

  • Da Epileptiker die Medikamente möglichst exakt zur gleichen Zeit nehmen müssen, ist bei diesen Patienten das Fütterungsmanagement besonders wichtig. Bei Tablettengabe mit dem Futter müssen die Fütterungszeiten präzise eingehalten werden, um einen konstanten Wirkspiegel zu gewährleisten.
  • „Ketogene Diät“: Eine kohlenhydratarme Fütterung kann (durch eine Konstanthaltung des Blutzuckerspiegels) die Anfallsfrequenz positiv beeinflussen. Im Umkehrschluss kann eine proteinreiche Ernährung die Gehirnfunktion unterstützen. Diesbezüglich gibt es einige erfolgsversprechende Studien aus der Humanneurologie, für den Bereich der Tiermedizin fehlen derzeit leider noch verlässliche Studien.
  • Futterergänzungen: MCT-Öle, Omega-3-Fettsäuren und Antioxidantien scheinen einen positiven Effekt zu haben. Insbesondere für den Einsatz mittelkettiger Fettsäuren (MCT-Öle) existieren vielversprechende Studienergebnisse aus der Veterinärmedizin. Durch den Einsatz von MCT-Ölen konnte in Studien bei etwa 70% der Hunde eine Besserung der Anfallsfrequenz erreicht werden. Da hier keine Wechselwirkungen mit Antikonvulsiva bekannt sind und das Auftreten von Nebenwirkungen nicht beschrieben ist, ist der Einsatz von MCT-Ölen wie von Napfcheck*  äußerst risikoarm und trotzdem vielversprechend.
  • Einsatz von B-Vitaminen: Vitamine des B-Komplex spielen eine wichtige Rolle bei der Neurotransmitterproduktion und haben des Weiteren eine neuroprotektive Wirkung. Daher ist bei der Rationsgestaltung unbedingt auf eine deckende Versorgung mit B-Vitaminen zu achten. Geeignet sind z. B. B-Vitamine von DOG FIT* (ohne Bierhefe, Hefe etc.) oder B-Vit complex Tabletten von CP-Pharma*

Erste Untersuchungen deuten auf einen positiven Effekt einer hypoallergenen Fütterung hin, verlässliche Studien liegen aber derzeit nicht vor.

Beste Fütterungszeit

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Quellen

Laboklin aktuell: Therapie-Kontrollmöglichkeiten – Überblick (06/2016)

Charalambous et al. „Treatment in canine epilepsy–a systematic review“ (BMC Vet Res 10/2022)

Han et al. „Dietary medium chain triglycerides for management of epilepsy: New data from human, dog, and rodent studies“ (Epilepsia 08/2021)

Pschyrembel Online: Epilepsie. Walter de Gruyter (Abruf: Januar 2024)

Baumgärtner, W. Gruber, A.D.: Spezielle Pathologie für die Tiermedizin. Thieme 2020

Fischer, A. et al: Die idiopathische Epilepsie des Hundes. Enke 2013

Berk et al. „Medium-chain triglycerides dietary supplement improves cognitive abilities in canine epilepsy“ (Epilepsy Behav 01/2021)

Berk et al. „Metabolic fingerprinting of dogs with idiopathic epilepsy receiving a ketogenic medium-chain triglyceride (MCT) oil“ (Front Vet Sci 10/2022)